Die Schirlitzbrücke in der Schulstraße
von Manfred Falkenberg, Mozartstraße 13, 72119 Ammerbuch, mpfalkenberg@gmx.de
Nach der Gründung des Ortes Freudenfier, dem Urfreudenfier, an der „Alten Dorfstelle“ im Jahre 1590 gab es damals sicher noch keine Brücke über die Pilow, außer in Hoppenmühl. Dies obwohl das Dorf an der Pilow angesiedelt war. Doch damals kam man sicher mit einem Kahn über die Pilow, die damals noch Pilo bzw. Pilo-Fliess genannt wurde. Dann nach der 1. polnischen Teilung kam der Ort unter König Friedrich II., der Große, zu Preußen. Man erkannte sehr schnell, dass das Dorf verkehrsmäßig sehr schlecht zu erreichen war. So wurde nach 1780 Urfreudenfier 1,25 km südwestlich ebenfalls an der Pilow am heutigen Standort umgesiedelt. Dies ging sicher nicht so schnell. Auch mussten die nun schon umgesiedelten Einwohner von Freudenfier zum Gottesdienst immer noch nach Urfreudenfier, denn erst im Jahre 1800 wurde in Freudenfier die katholische Kirche eingeweiht. Hier in Freudenfier wurde der Ort zu beiden Seiten der Pilow angesiedelt. Da waren also Brücken erforderlich, um den Verkehr zwischen den beiden Dorfteilen und den umliegenden Orten aufrecht zu halten.
Die aus Richtung Rederitz und Hoppenmühl kommende Pilow tritt in der Schulstraße in Freudenfier ein. Woher der Name Schirlitz kam, ist nicht bekannt. Schon in dem Plan von Freudenfier von 1830, den der Conducteur Wellmann fertigte, ist diese Pilowbrücke verzeichnet. Hier in der Schulstraße wurde die Pilow von einer Holzbrücke überquert. Dann im Jahre 1928 wurde eine moderne Betonbrücke fertig gestellt. Damit konnte auch der Schwerlastverkehr diese Brücke in Richtung Stabitz überqueren. Denn auch die Schmiedebrücke am anderen Ende der Schulstraße war nur eine Holzbrücke. Neben der Schirlitzbrücke ging durch die Pilow eine Furt. Hier fuhren die Bauern mit ihren Wagen durch die Pilow auf dem Weg aufs Feld. Dabei konnten die Pferde noch einmal saufen, und außerdem war das Wasser auch gut für die Holzräder der Wagen. Dadurch saßen die Eisenreifen immer fest auf den Holzrädern. Hier wurden die Kühe und Kälber auf dem Weg zur Weide durchgetrieben. Dies hatte zur Folge, dass in Freudenfier nie die Maul- und Klauenseuche ausbrach.
Die Schirlitzbrücke in Freudenfier in der Schulstraße im Jahre 1940.
Aufnahme: Otto Schrade, Berlin. Im Hintergrund die Häuser von:
Heimann, Klawitter, Hoppe, Schur, Zander und Piontek (von links).
Ansonsten war die Schirlitzbrücke auch der Treffpunkt für Jugendliche und Kinder in der warmen Jahreszeit. Da konnte in der Pilow prima gebadet werden. Auch ich erinnere mich an so einen Badetag im Sommer 1944. Ich hatte meine Sachen an der Schirlitzbrücke aufgehangen und ging dann mit anderen Kindern in die Pilow. Als ich dann nach dem Badevergnügen zu meinen Sachen zurück kehrte, sah ich wie gerade eine freilaufende Kuh vom Bauern Albert Prodöhl, er hatte seinen Hof auf der anderen Seite der Brücke, mein Hemd auffraß. Dort bei der Schirlitzbrücke gab es im Jahre 1941 ein tragisches Unglück. Ein Fesselballon hatte sich auf dem Truppenübungsplatz Groß Born losgerissen und flog führerlos über Zippnow in Richtung Freudenfier. Bei der Schirlitzbrücke blieb der Ballon in der Hochspannungsleitung hängen. Diese zeriss und die Drähte fielen auf den Boden. Ganz in der Nähe hütete der taubstumme Gregor Lüdke, der Bruder von dem Bauern Alex Lüdke aus der Schulstraße, die Kühe. Da er sehr neugierig war, fasste er die Drähte der Freileitung an, und da diese noch unter Strom standen, bekam Gregor Lüdke einen tödlichen Stromschlag. Auch eine Kuh war dabei getötet worden. Der herrenlose Fesselballon war längst weiter geflogen.
Und im Winter? Da konnten die Kinder und Jugendlichen vom Jakobuskreuz die recht unebene Schulstraße herunter rodeln bis über die Schirlitzbrücke. Dies ging solange gut, bis die Erwachsenen selber auf den Geschmack kamen und mit unseren Schlitten die Schulstraße runter fuhren.
Gefischt wurde natürlich auch bei der Schirlitzbrücke. Im Frühjahr 1944, die zugefrorene Pilow war in der Flussmitte schon eisfrei, da spannten die beiden Briefträger Leo Körlin und Emil Klawitter an der Schirlitzbrücke ein Netz quer über die Pilow aus. Sie wussten nämlich, dass sich unter dem Eis an den Ufern Fische sammelten. Dazu wurden an beiden Ufern Löcher ins Eis geschlagen und dann das Netz unter dem Eis durchgestakt. Leo Körlin jun. wusste von seinem Vater, dass das Netz am nächsten Tag aus der Pilow geholt werden sollte. Am nächsten Morgen rannte er während einer Schulpause schnell zur Schirlitzbrücke und half beim Einholen des Netzes, und gemeinsam brachten sie eine Menge Fische an Land. Da reichte die Schulpause natürlich nicht aus. Doch der Lehrer Karl Hagedorn drückte ein Auge zu, denn Leo Körlin jun. brachte für ihn eine ganze Schüssel mit frisch gefangenem Fisch mit.
Am 30. Januar 1945 kamen deutsche Pioniere nach Freudenfier und sprengten u.a. auch die Schirlitzbrücke. Man wollte den Vormarsch der sowjetischen und polnischen Truppen stoppen, was natürlich nicht gelang. Von den Polen wurde eine Holzbrücke über die Pilow, die nun polnische Pilawa, gebaut. Als diese Brücke im Jahre 1986 marode geworden war, wurde sie für alle Fahrzeuge gesperrt. Man baute dort eine Fußgängerbrücke, die aber schon wieder erneuert wurde. Neben der Brücke ist das Haus von August Heimann, „Pilzken-Heimann“ genannt, weil er früher immer Pilze aufkaufte. Sein Haus mit neuem Reeddach und der Garten sind im heutigen Freudenfier (Szwecja) eine Anlaufstelle für Kanufahrer, die auf der Pilow (Pilawa) aus Richtung Rederitz (Nadarzyce) ankommen bzw. von dort aus in Richtung Klawittersdorf (Glowaczewo) starten.
Eine Randbemerkung zum Foto von der Schirlitzbrücke von 1940: Direkt hinter der Brücke ist das Haus von Bernhard Hoppe (*1898) zu sehen. Er war von Beruf Maurer und hatte das Haus mit der Dachgaube selbst erbaut. Bei der Sprengung der Schirlitzbrücke war das Hoppes Haus beschädigt worden. Dort zog ein polnischer Förster ein, und das Haus wurde repariert. Als die Töchter von Bernhard Hoppe nach Jahren nach Freudenfier kamen, stellten sie fest, dass von ihrem Elternhaus nichts mehr vorhanden war. Des Rätsels Lösung: Der polnische Förster war versetzt worden. Er hatte das Haus abbrechen und in seinem neuen Wirkungsort wieder aufbauen lassen. Heute ist Hoppes Grundstück ein kleiner gepflegter Park, der bis an die Pilow reicht. Auch die Familie Hoppe musste am 27. Januar 1945 flüchten und kam nach Elmenhorst im Kreis Grimmen. Dort starb am 10. März 1945 Bernhard Hoppes Mutter Maria Hoppe geb. Manke. Bernhard Hoppe war zu dieser Zeit Hafenkommandant in Pola in Jugoslawien. Er durfte zur Beerdigung seiner Mutter nach Elmenhorst kommen und musste dann wieder nach Pula zurück. Bernhard Hoppe kam im Juni 1945 dort in Gefangenschaft. Kriegsgefangene berichten später, dass von dort 1.000 Soldaten mit höheren Dienstgraden auf Schiffe verladen wurden. Sie alle, auch der Hafenkommandant von Pula Bernhard Hoppe, wurden in den dalmatischen Bergen auf der Insel Korcula von Partisanen erschossen.
Die in Freudenfier ankommende Pilow an der Schirlitzbrücke.
Aufnahme: Manfred Falkenberg, Ammerbuch am 17. Mai 1986.